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Diversität und Medien

Was genau ist diese „Diversität“, auf die sich mehr und mehr Medienanstalten berufen wollen, weil es kein Geheimnis ist, dass sie in der Medienbranche nicht gegeben ist (vgl. NDM o. J.)? In der Theorie bezieht sich der Begriff auf menschliche Unterschiede, die als Identitätsmarker dienen. Dazu zählen beispielsweise die soziale oder regionale Herkunft, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder Merkmale wie Alter, Lebensphasen, Familienstatus, Bildungsgrad, Religionszugehörigkeit und Nicht-Behinderung/Behinderung. Auch die physische oder psychische Verfasstheit und unsichtbare Unterschiede zählen dazu. Das macht deutlich, dass nicht nur wahrnehmbare Unterschiede unser gesellschaftliches Miteinander bestimmen.

In der European Broadcasting Union (EBU) – der Dachorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa – zählt Diversität neben Universalität, Unabhängigkeit, Exzellenz, Verantwortung und Innovation zu einem der sechs Kernwerte. Die EBU versteht darunter einen strategischen Ansatz, um die plurale Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Zielgruppen zu erreichen. Die Voraussetzung dafür ist ein gleichermaßen diverses Personal, Programm und Publikum. Die EBU-Kernwerte korrespondieren mit dem Wertekanon der ARD: Vielfalt, Teilhabe, Unabhängigkeit, Qualität, Innovation, Verantwortung, Regionalität/Nähe und Wertschöpfung. Auch in den gesetzlichen Grundlagen und Rundfunkurteilen des Bundesverfassungsgerichts ist die inhaltliche Vielfalt der Programme als Teil der Grundversorgung verankert und soll durch eine interne Kontrolle gesellschaftlich relevanter Gruppen gewährleistet werden.

So ist in der Theorie vieles klar, was in der praktischen Handhabe der Häuser je nach Haltung und Wissenstand der Mitarbeitenden mitunter sehr unterschiedlich definiert wird. Es unterscheidet sich in der Praxis, was unter Diversität verstanden wird, welche Dimensionen zählen und ob bestimmte vielleicht als wichtiger als andere gelten. So kann es sein, dass beispielsweise Behinderung als Thema gesondert behandelt oder Gendergerechtigkeit ausschließlich binär für das Verhältnis von Männern und Frauen (unter Ausschluss von Trans- und Non-binären Personen) gedacht wird. Solche Unterscheidungen oder ein getrenntes Verhandeln der Erfahrungen verkennen allerdings, dass auch ein breiteres Verständnis von Geschlecht existiert – und dass Differenzerfahrungen in einem Menschen nicht unabhängig voneinander oder ‚aufsummiert‘, sondern gleichzeitig wirken. Es muss also darum gehen, ein Verständnis zu entwickeln, in dem mit Diskriminierung verbundene Differenz-Erfahrungen nicht in ‚schlimmer‘ oder ‚wichtiger‘ hierarchisiert werden, sondern in welchem sie als gleichbedeutend und damit gleichberechtigt gelten. Echte Vielfalt in einem Medienunternehmen zu fördern, bedeutet deshalb ein multiperspektivisches Verständnis für Unterschiede von Individuen und ihre Verschränkungen zu entwickeln. Erst dadurch können strategische Maßnahmen eingeleitet werden, die nachhaltig sind und eine Veränderung im Sinne aller bedeuten.

Das Modell der Intersektionalität stellt diese Verschränkungen in den Mittelpunkt. Es hilft, Menschen, ihre Unterschiede, ihre vielfältigen Diskriminierungserfahrungen und deren Wechselwirkungen zu verstehen. Menschen bestehen nicht aus nur einem Merkmal und je nachdem mit welcher Kombination aus Merkmalen sie ausgestattet sind, befinden sie sich in mehr oder weniger privilegierten oder benachteiligten gesellschaftlichen Positionen. So macht eine Schwarze, nicht-behinderte, heterosexuelle Journalistin andere Erfahrungen als eine Schwarze, behinderte, non-binäre Medienschaffende. Die eine erlebt benachteiligende Situationen als Schwarze Frau, ist in ihren weiteren Merkmalen aber privilegiert, während die andere die ineinandergreifende Wirkung von Ausschlüssen erlebt. Dieses Beispiel zeigt auf, dass sich viele der zur Beschreibung der Gesellschaft oftmals verwendeten und in den Köpfen vieler Menschen verankerten Kategorien über vermeintlich homogene gesellschaftliche Gruppen bei näherer Betrachtung auflösen – weil alle etwas von den Perspektiven der anderen in sich tragen (können).

Status Quo: Eine schwierige Ausgangslage

Auf Basis ihrer Rechte und Pflichten, deren Rahmen neben redaktionellen Statuten die Pressefreiheit und das Persönlichkeitsrecht abstecken, selektieren und kanalisieren Medienschaffende tagtäglich aus einem riesigen Pool von Meldungen, wählen die „Verpackung“ für ihre Berichte, entscheiden zwischen einer Nachricht und einem Meinungsbeitrag. Alleine durch die Entscheidung, was geschrieben, gesendet oder nicht veröffentlicht wird, tragen sie Verantwortung gegenüber dem Publikum. In journalistischen Studiengängen und Ausbildungen wie dem Volontariat wird gelehrt, dass möglichst alle relevanten Positionen zu einer Sache zu Wort kommen sollen, um dem Publikum eine ausgewogene Meinungsbildung zu ermöglichen. Zur journalistischen Aufgabe zählt auch, Missstände – an allen Orten der Gesellschaft, also auch innerhalb der eigenen Strukturen – aufzudecken. Wie aber kann sichergestellt werden, dass Diversität in all diesen Prozessen ein zentrales Kriterium darstellt?

Eine Möglichkeit ist es, Diversität als Teil journalistischer Ethik zu verstehen. Dazu (und zum Thema Verantwortung in der journalistischen Ausbildung) gibt es eine reiche Publikationshistorie. So wird in den USA bereits seit Ende des Zweiten Weltkrieges über ‚Ethik im Journalismus‘ diskutiert. Der Bericht der 1947 zu diesem Thema einberufenen „Hutchins Commission“ gilt als Grundstein der Debatte, soziale und moralische Aspekte in den Journalismus einzubeziehen (Löffelholz 2000, S. 354). In Deutschland kam dieser Stein (als fachinterne Debatte) erst in den 80er-Jahren ins Rollen, als es einige journalistische Krisen und Kritik an der Medienberichterstattung gab (beispielsweise über das Bergwerksunglück von Borken oder der Flugschau-Katastrophen von Ramstein und Remscheid). Das Ausschlachten der Trauer und Verzweiflung der Angehörigen für reißerische Geschichten prägte den Begriff des „Katastrophen-Journalismus“ (Pürer 1990). Doch trotz der mittlerweile jahrzehntealten Geschichte bleibt der Begriff der Medienethik schwammig. Wo liegen die moralischen Grenzen, was bedeutet verantwortungsbewusste Berichterstattung? Darüber hat letztlich auch jede:r Medienschaffende ein individuelles Verständnis. Und umso schwieriger wird es dieses Thema auf journalistische Praxen zu übertragen. Zumal das Berufsbild des beziehungsweise der Journalist:in eines der freiesten ist, das es gibt – die Berufsbezeichnung ist in Deutschland rechtlich nicht geschützt und es gibt keine vorgeschriebene und verbindliche Berufsausbildung. Das erschwert es, allgemein akzeptierte ethische Maßstäbe anzulegen und Verantwortlichkeiten zuzuweisen. Deshalb bleibt die Entscheidung, was eine pflichtgetreue Aufgabenerfüllung und eine moralisch verantwortbare Vorgehensweise darstellt (und was nicht) vielerorts den Medienschaffenden selbst überlassen. Zwar formulierte der Deutsche Presserat Mitte der 70er-Jahre eine freiwillige Selbstverpflichtung als Pressekodex, um den Schutz der Menschenwürde und die allgemeinen Persönlichkeitsrechte in der täglichen Medienarbeit zu stärken. Doch steht dieser Kodex – seitdem mehrfach ergänzt und aktualisiert – nicht nur in der Kritik, ein zahnloser Tiger zu sein. Ihm wird auch eine zu wenig diversitätsbewusste Perspektive nachgesagt, die nicht alle Menschen in ihrer Vielfalt mitdenkt. Als schwammig und wenig hilfreich wird beispielsweise die Änderung zur Herkunftsnennung potenzieller Täter:innen in Kriminalfällen aus dem Jahr 2017 kritisiert. Seither heißt es, eine entsprechende Nennung könne vorgenommen werden, wenn es „ein begründetes öffentliches Interesse“ gibt – ohne dass dieses näher definiert würde. Der Presserat hatte den Passus auch wegen der Debatten nach der Kölner Silvesternacht 2015 geändert, zuvor wurde – im Vergleich deutlich konkreter – ein „begründbarer Sachbezug“ zur Tat als Voraussetzung für die Herkunftsnennung der Täter:innen genannt (Pross 2019).

Auf der anderen Seite gibt es als Fürsprecher:innen des Publikums Gremien wie die Rundfunk- und Medienräte, die eine kollektive Verantwortung stützen sollen, indem sie die Arbeit der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten kontrollieren. Doch auch ihnen wird nachgesagt, die plurale Gesellschaft nicht ausgewogen genug zu repräsentieren (vgl. Wolf 2013, S. 83–84). Da somit allgemein akzeptierte Leitlinien nicht existieren und es – auch aus Gründen der Pressefreiheit – keine verbindliche Kontrollinstanz geben kann, kommt es letztlich darauf an, sich als einzelne Journalist:in und als gesamte Berufsgruppe einer Art reflektierender Selbstkontrolle zu unterziehen. Zu verhandeln wäre also auch, wie der Berufszweig des Medienjournalismus – als (Selbst)Beobachtung der Beobachter:innen – in die Verantwortung genommen werden könnte. Diese Reflektion und Selbstverständigung ist wichtig, um zu klären, was es in einer sich pluralisierenden Gesellschaft braucht, in der verschiedenen soziale Gruppen und Bewegungen seit Jahrzehnten um Beachtung ringen und nun mit ihren Anliegen immer sichtbarer und wahrnehmbarer werden.

Ein Eingeständnis und Einverständnis über diese Frage hat Gewicht, kann aber nur der erste Schritt sein. Zumal bereits 2006 in Deutschland die „Charta der Vielfalt“ etabliert und mittlerweile von den meisten deutschen Medienanstalten unterschrieben wurde. Die Charta stellt eine Selbstverpflichtung von Unternehmen dar, sich dem Thema Diversität als ganzheitlicher Querschnittsaufgabe zu widmen. Kritik gibt es jedoch an der Umsetzung der Vereinbarung durch die Medienhäuser, die das Thema in der Praxis häufig mit einzelnen Projekte oder programmlichen Diversity-Tagen abdecken und eine Koppelung mit strukturellen Veränderungen in der eigenen Organisation scheuen. Da etablierte Routinen und Abläufe, die nicht gleichberechtigt funktionieren, so nicht angegangen werden, kommen mehr und mehr Initiativen ins Rollen, die sich an Modellen wie dem Vorzeigebeispiel der BBC in England orientieren. Die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt verfolgt als Unternehmensziel die sogenannte 50:20:12 Quote für die Belegschaft (BBC 2021). Innerhalb von drei Jahren will sie ihr Personal mit 50 Prozent Frauen oder weiblich gelesenen Personen, 20 Prozent Menschen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeiten und zwölf Prozent behinderter Menschen besetzen. Dadurch sollen sich – so die Hoffnung – auch die redaktionellen Inhalte entsprechend verändern, um die plurale Gesellschaft auch dort „fair zu repräsentieren“. Mit dem Mitarbeiter:innen-Netzwerk „RAISED“ (Real Action in Socio Economic Diversity) soll zudem die Repräsentation von Kolleg:innen aus niedrigen sozioökonomischen Verhältnissen erhöht werden. Auch hier ist die Erwartung, dass dadurch Inhalte produziert werden, die das Publikum aller sozialen Verhältnisse besser erreicht (Socialmobilityworks o. J.).

All das ist kein einfacher und ein langfristig angelegter Weg. Einer, der in der deutschen Medienlandschaft noch in den Anfängen steckt. Denn obwohl der Weg in eine sich öffnende Richtung bereits vor Jahren geebnet wurde, Werbebroschüren von Sendeanstalten und Verlagen den Wunsch nach Diversität längst bekunden und es inzwischen beispielsweise auch vor den Kameras der Sender immer diverser wird, stehen nicht nur die öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten mit ihrer Transformation noch am Anfang: Jahrelang haben sich Einzelkämpfer:innen als Frauen-, teilweise auch als Diversitätsbeauftragte für das Thema einer angemessenen Repräsentation unterschiedlicher sozialer Gruppen eingesetzt, haben sich – oft von den Kolleg:innen belächelt – an den starren Strukturen abgearbeitet, um in kleinen Schritten etwas zu verändern. Und doch stehen immer noch undurchlässige Hierarchien und ein veralteter Gedanke von Integration und InklusionFootnote 1 mit Blick auf das Publikum dem Ziel einer gleichberechtigten Repräsentation auf allen Ebenen und einer diskriminierungssensiblen Berichterstattung entgegen. Spätestens seit der großen Rassismus-Debatte im Sommer 2020 – ausgelöst durch den gewaltvollen Tod des Afroamerikaners George Floyd, der in den USA von Polizisten ermordet wurde – und der folgenden Proteste, hat sich der Druck auf die Medien, insbesondere die Öffentlich-Rechtlichen, jedoch verschärft. Tatsächlich kam eine Welle der Sensibilisierung ins Rollen, die noch immer anhält und unterschiedliche Prozesse in den verschiedenen Häusern angestoßen hat.

Herausforderungen aktueller Ansätze

Das Bemühen zur Veränderung ist begrüßenswert, gleichzeitig ist das Unwissen, wie diese Veränderung vonstattengehen soll, noch immer groß. Der Ist-Zustand besteht, so scheint es, aus Gesprächen, unterschiedlichsten Projekten und einem Ausprobieren, dem Wunsch loszulegen. Es finden sich Pressemitteilungen neuer Ideen und Selbstverständnisse, Markenleitbilder werden entwickelt und neue Netzwerke gegründet. So soll im ARD-Medienverbund ein senderübergreifendes Netzwerk – bestehend aus einem „ARD-Board Diversität“ und einem „ARD-Circle Diversität“ – helfen, „die Vielfaltsgesellschaft im Programm erlebbar zu machen und so mehr Menschen zu erreichen“ (ARD 2021). Immer wieder lässt sich dabei kritisch die Frage stellen, wer Teil dieser Runden ist, wie divers besetzt sie sind und ob es zu all den Initiativen eine Prozess- und Unternehmensentwicklung gibt, die eine Basis dafür schafft, dass die Perspektiven marginalisierter Gruppen mitgedacht und -behandelt werden. Um das umzusetzen und keine Feigenblätter zu produzieren, braucht es neben einem Auftrag von der Spitze eines Medienunternehmens eine Strategie und einen langfristigen Plan, um die Strukturen im Inneren zu verändern. Denn nur mit Zielen, die geprüft werden können, kann echte Veränderung erreicht werden.

Dazu bedarf es den Willen und eine ehrliche Haltung, aber auch viele Ressourcen und Investitionen sowie den Mut, sich auszuprobieren. Die zu bewältigende Herausforderung ist mit der Aufgabe vergleichbar, den Journalismus gegenwärtig und zukünftig in der digitalen Welt zu sichern. Auch Diversität ist ein Fachgebiet, das es zu erfassen und aufzubereiten gilt. Auch sie beschreibt eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich – allen Widerständen zum Trotz – ihren Weg bahnen wird und daher gestaltet werden muss. Wie die gesellschaftliche Transformation insgesamt ist sie auch ein Spannungsfeld – in den Medienhäusern selbst, aber auch mit Blick auf deren Beziehungen zu ihrem Publikum. Die Forderungen der Emanzipationsbestrebungen der Sozialen Bewegungen der 60er- und 70er-Jahre werden heute stärker wahrgenommen und haben sich weiter ausdifferenziert. Der Sozialwissenschaftler Aladin El-Mafaalani zeichnet für diesen aktuellen gesellschaftlichen Prozess ein eindrückliches Bild (El-Mafaalani 2018, S. 77): Am Tisch der Gesellschaft haben neben der sogenannten Dominanzgesellschaft inzwischen auch die Nachkommen einstiger nach Deutschland eingewanderter Menschen Platz genommen, die zuvor auf dem Boden saßen. Dass sie nun mit am Tisch sitzen, unterscheidet sie von den eigenen Eltern. Ihre zunehmende Teilhabe hat für alle den Blick für die Empfindungen und Ausgrenzungserfahrungen der betroffenen Personen geöffnet. Doch hat diese positive Entwicklung nicht zur Folge, dass ihre Diskriminierungserfahrungen verschwunden sind. Sie können im Gegenteil sogar zunehmen, weil „die Neuen“ am Tisch von manchen, die schon vorher dort saßen, als unliebsame Störung oder Konkurrenz wahrgenommen werden.

Das Bild der am Tisch und auf dem Boden sitzenden Menschen verdeutlicht die vielen verschiedenen Differenzerfahrungen marginalisierter Gruppen und die Gegenkräfte, die ihre Wahrnehmbarkeit und stellenweise auch Anwesenheit in der Gesellschaft verhindern wollen. Es erklärt, warum unsere gesellschaftlichen Abläufe und Debatten sich verändern, es auch mal heftig, gar polarisierend zugeht und warum es mehr Aushandlungsprozesse darüber gibt, was uns unterscheidet. Immer wieder wird vonseiten der Medien dabei zurecht versucht, der Gemengelage mit einer Berichterstattung in Pro- und Kontra-Beiträgen gerecht zu werden, da es die Grauzonen sind, in denen die Themen verhandelt werden müssen. Es braucht mehr Kontext in der Berichterstattung zum Thema Diversität und Differenzerfahrungen und ein Verständnis aufseiten der Journalist:innen, dass es um gesellschaftliche Teilhabe und Verteilungsfragen geht, um menschenrechtliche Fragen.

Beim genaueren Betrachten vollzieht sich dabei auch ein Generationenwandel. Die Digitalisierung hat die Kommunikation derart verändert, dass die Frage, wer gehört wird (und wer nicht) selbst kaum mehr überhört werden kann und neu beantwortet werden muss. Weil mehr Individuen mit ihren unterschiedlichen Differenz- und Diskriminierungserfahrungen – nicht nur, aber insbesondere in den sozialen Netzwerken – ihr Recht einfordern gehört und wahrgenommen zu werden, wird stärker um Deutungsfragen gerungen. Soziologische Betrachtungen beruhigen damit, dass eine differenzierte Gesellschaft sich gerade durch Konflikte integriert, und zwar dann, wenn diese als notwendig anerkannt und institutionalisiert werden; wenn diese Konflikte also im Sinne aller geführt werden. Unsere zukünftige gesellschaftliche Aufgabe wird es bleiben, uns nicht nur damit auseinanderzusetzen, was uns verbindet, sondern auch mit dem, was uns unterscheidet. Veränderung beginnt im Denken, was für die Autorin dieses Textes heißt, die Lösung in einer anderen Haltung zu suchen und „Die Schönheit der Differenz“ (Haruna-Oelker 2022) zu erkennen. In der Medienlandschaft findet sich ein entsprechend diversitätsbewusstes Verständnis vorrangig in jüngeren Formaten und in den digitalen Angeboten der Medienhäuser wieder. Das spiegelt die Realitäten in den Sozialen Medien, in denen sich eine Vielzahl unterschiedlicher gesellschaftlicher „Blasen“ wiederfindet. Angebot und Nachfrage machen dort den Wunsch der Rezipient:innen nach unterschiedlichen Stimmen, Erfahrungswelten, Biografien und so genannten Communities sichtbar. Sich mehr Wissen über diese Realitäten – und damit einhergehend über Differenz und Diskriminierung – anzueignen, wird eine der großen Aufgaben der Medienhäuser sein und bleiben. Der Wunsch nach Vielfalt sollte nicht als Trend verstanden werden, sondern sollte, im Gegenteil, auch abseits der sozialen Medien dazu führen, dass die linearen Programme und etablierten Printmedien ihren Blick auf die eigenen Zielgruppen und ihre Vorstellungen ebenfalls noch einmal überdenken. Es sind zwar vermehrt (aber nicht nur) jüngere Menschen, die sich für progressivere Sichtweisen, eine diskriminierungssensible Öffnung von Redaktionen und ein anderes Verständnis unseres Miteinanders sowie der Geschichten und Berichterstattung darüber interessieren. Allerdings gibt es auch unter den älteren Zuschauer:innen in Deutschland sehr viele, deren Geschichten aufgrund ihrer unterprivilegierten Position bisher nicht oder nur unzureichend erzählt wurden.

Was gilt als zeitgemäß? Wer zählt zum Publikum? Was braucht es, um möglichst vielen gerecht zu werden? Dies alles unterliegt der gesellschaftlichen Aushandlung, die vor den Medien nicht Halt macht. Damit werden die Fragen, wer „Medien macht“ und wer Diversität in Medienhäusern und Redaktionen bestimmt, zum menschenrechtlichen Aspekt eines demokratischen Anspruchs, der neu und vor allem anders als früher verhandelt werden muss.

Lösungswege: Selbstreflexion, (Weiter)Bildung und Kooperation

Das Publikum einbeziehen und sich austauschen. In Zukunft wird es stärker darum gehen zu wissen, was die Seite der Empfänger:innen liest und rezipiert, was sie an Informationen, Programm und Inhalten braucht. Die Publikumsethik fragt danach, wie ein verantwortliches Publikum das Medienangebot nutzen soll und wie Nutzer:innen als aktive Rezipient:innen zum kritischen Umgang mit Medieninhalten befähigt werden. Und da Medienschaffende Anbieter:innen von Dienstleistungen sind und das auf einem Markt, bei dem es um Interessen, Auflagenzahlen und Einschaltquoten geht, können kritische Publika Veränderungen bewirken. Aus einer aktiven Rezeption ergeben sich schon heute immer mehr Debatten über Grenzüberschreitungen in den Medien.Footnote 2 Dennoch sind Medienschaffende, Publikumswünschen und ökonomischen Zwängen zum Trotz, in einer machtvollen Position und bestimmen den gesellschaftlichen Ton mit. Um ein stärkeres Sprechen und Reflektieren über mediale Verantwortung zu etablieren, braucht es parallel eine Stärkung des Medienjournalismus, zum Beispiel durch eine Erhöhung der Formate, aber auch mehr Preise, die für Transparenz im Journalismus werben und eine beobachtende Funktion einnehmen – und der Branche signalisieren, dass (Selbst)Reflexion geschätzt und gewürdigt wird.

Sich diesen Reflexionsmangel einzugestehen, ist ein wichtiger Schritt, um eine Struktur der Teilhabe innerhalb der eigenen Reihen und im Kontakt mit dem Publikum und einer breiteren Öffentlichkeit zu begründen. Für Medienhäuser ist es an der Zeit, die Auswirkungen gesellschaftlicher Verhältnisse, Machtgefüge und Unterdrückungsstrukturen auch im eigenen System offensiver zu durchleuchten und besprechbar zu machen. Praktische Anwendbarkeit im (Berufs-)Alltag sollte dabei im Zentrum stehen. Medienschaffende müssen befähigt werden, diskriminierungssensible Arbeitsweisen zu etablieren und weiterzuentwickeln. Dafür braucht es Leitplanken und ein inhaltliches Handwerkzeug, das in der Berichterstattung angewendet werden kann. Kritischer, diversitätsbewusster und reflektierender Journalismus ist eine Haltung, die die Autorin dieses Textes an der Seite eines verantwortungsbewussten und konstruktiven Journalismus sieht. Letzterer basiert auf lösungsorientierter statt negativer und konfliktbasierter Berichterstattung und fragt: Wie wäre es, wenn die Nachrichten nicht nur über Probleme berichten, wenn Medienschaffende viel stärker die Perspektiven aller mit abbilden und Missstände nicht nur aufdecken, sondern auch konstruktive Debatten darüber organisieren, wie sie künftig verhindert werden könnten (Kramp und Weichert 2020)?Footnote 3

Ein Journalismus, der diese Ansätze vereint, verbindet eine Grundhaltung mit einem handwerklichen Ansatz des Lernens und Verlernens, der mit der Reflexion der eigenen Arbeitsweise verbunden ist. Über das „Wie“ braucht es in der Praxis eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Thema Diversität. Berufsbegleitende Schulungen und Weiterbildungen könnten vermitteln, dass jede:r Medienschaffende ein Mensch mit eigener Prägung und eingebettet in sein soziales Gefüge ist. Methoden, journalistisches Arbeiten kritisch zu denken, werden schon lange von Zusammenschlüssen wie den Neuen Deutschen Medienmacher*innen, Leidmedien, dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, der MaLisa Stiftung, ProQuote Medien und Queer Media Society propagiert (siehe bspw. Leidmedien o. J.; BLSJ o. J.). Es gibt Anleitungen, Faktenblätter und Checklisten oder Glossare für Medienschaffende, die sich bereits aufgemacht haben oder es tun wollen. „Professionalität im Journalismus heißt zunächst Sachkompetenz, das heißt Kenntnisse, die in allen Ressorts gebraucht werden und die Voraussetzung für eine aktive Recherche und verantwortungsbewusste Vermittlung auch komplizierter Themen sind“, schrieb Claudia Mast bereits vor über dreißig Jahren in ihrem Text „Mit beschränkter Haftung? – Professionalität, Selbstverständnis und Verantwortungsbewusstsein von Journalisten“ (Mast 1991). Kenntnisse, wie eine angemessene Repräsentation unserer pluralen Gesellschaft in den eigenen Inhalten verwirklicht werden kann, sind als journalistische Sachkompetenz in diesem Sinne zu verstehen. Medienschaffende sollten mit machkritischem Handwerkszeug ausgestattet und in der Ausbildung ein entsprechendes Verantwortungsbewusstsein gefördert werden, damit sie unbewussten kognitiven Verzerrungen – wie Stereotypen im Kopf oder anderen tief verwurzelten Denkmustern – und deren Wirkung auf die Berichterstattung (und Personalpolitik) im eigenen Haus entgegentreten können. Denn die persönliche Frage ist und bleibt: Wie ist meine Position und wer will ich als Journalist:in sein?