Mit dem Zug reisten Zigtausende junge, kräftige Arbeiter nach Deutschland. Erst allein und auf Zeit, dann blieben sie und holten die Familien nach. Teil 2 der Serie.
Es war mutig und vorausschauend, was der feiste, stets Zigarre rauchende Vater des Wirtschaftswunders da mit dem italienischen Außenminister Gaetano Martino ausgeknobelt hatte. Knapp zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wollte der deutsche Wirtschaftsminister Ludwig Erhard einige Hunderttausend Italiener nach Deutschland holen. Angesichts von sieben Prozent Arbeitslosigkeit und anhaltenden Zuwandererströmen von rund 13 Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen, die aus dem Osten in die Westzonen kamen, stieß dieser Plan in Deutschland auf wenig Begeisterung. Erhard vertraute jedoch auf positive konjunkturelle Prognosen. Weil die Wehrpflicht wieder eingeführt werden sollte, erwartete der Minister ohnehin einen zusätzlichen Arbeitskräftemangel.
Am 20. Dezember 1955 trat der deutsch-italienische Anwerbevertrag in Kraft, die ersten Züge mit jungen, arbeitswilligen Italienern erreichten Deutschland wenig später. Auch mit anderen Ländern wurden Anwerbeverträge abgeschlossen, so mit Spanien, Griechenland, 1961 mit der Türkei, dann mit Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien. Die Beamten der Bundesanstalt für Arbeit vermittelten die Neuankömmlinge an geeignete Unternehmen, zunächst vor allem in der Schwerindustrie und auf dem Bau, dann auch im Automobilbereich. So schraubten in den 1960er-Jahren viele italienische Arbeiter am VW Käfer – dem Symbol des Wirtschaftswunders, mit dem die Deutschen bald über den Brenner an die italienische Riviera rollten und die Strände rund um Rimini bevölkerten.
Arbeiter auf Zeit
Die „Gastarbeiter“ kamen, um sich in der Fremde Geld zu verdienen, mit dem sie sich in ihrer Heimat später eine Existenz aufbauen wollten. Ihre Familien blieben deshalb zunächst im Ursprungsland, die Männer lebten in barackenartigen Sammelunterkünften. Ihr Aufenthalt war ohnehin nicht auf Dauer angelegt: Um eine wirklich Ansiedlung und Integration zu verhindern, wollte man auf das preußische Rotationsprinzip zurückgreifen. Die Verträge galten deshalb erst einmal nur für ein Jahr und einen bestimmten Arbeitgeber. Die Gastarbeiter, die schon bald aufgrund der Namensähnlichkeit zum nationalsozialistischen „Fremdarbeiter“ zumindest offiziell in „Arbeitsmigranten“ umgetauft wurden, durften außerdem nur die Arbeitsstellen annehmen, für die kein deutscher Interessent gefunden werden konnte.